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Aufklärung auch über sehr seltene Behandlungsrisiken (0,1%)

25.08.2015
von Dr. Christoph Schlüter
Medizin- Arzthaftungsrecht

Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen hat in einer recht aktuellen Entscheidung vom 02.04.2015, Az.: 5 U 12/14 deutlich gemacht, dass ein Arzt den Patienten auch über seltene, sogar sehr seltene Risiken aufzuklären hat. Worum ging es: Bei dem im Jahr 1944 geborenen Kläger war im Jahre 2006 ein Bauchaortenaneurysma festgestellt worden. Bei den nachfolgenden Verlaufskontrollen war ein Anwachsen dieses Aneurysma auf über 5 cm festzustellen gewesen. Daher wurde bei dem Kläger eine Aneurysmaresektion und eine Rohrprothesenimplantation durchgeführt. Nach der Operation traten massive Schwierigkeiten auf. In Höhe BWK 8 trat eine spinale Ischämie ein. Es zeigte sich eine Lähmung beider Beine, eine Blasenlähmung und Stuhlinkontinenz.

Das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen wiederholt in dieser Entscheidung zunächst die bestehende Rechtslage. Eine den ärztlichen Heileingriff rechtfertigende Einwilligung des Patienten setze voraus, dass dieser über den Verlauf des Eingriffs, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche echte Behandlungsalternativen mit gleichwertigen Chancen aber andersartigen Risiken und Gefahren „im Großen und Ganzen„ aufgeklärt worden ist. Hierbei müssten dem Patienten die möglichen Risiken nicht medizinisch exakt und in allen denkbaren Erscheinungsformen dargestellt werden; es genüge, wenn dem Patienten ein allgemeines Bild von der Schwere und Richtung des Risikospektrums dargelegt, ihm die „Stoßrichtung„ der Risiken verdeutlicht werde. Dabei habe der Arzt nachzuweisen, dass er die von ihm geschuldete Aufklärung erbracht habe und die Einwilligung des Patienten vorliege.

Ist dabei auch über sehr seltene Risiken aufzuklären? Hierzu gibt das Hanseatische Oberlandesgericht Bremen an, dass der Arzt den Patienten auch über seltene, sogar sehr seltene Risiken aufzuklären habe, wenn deren Realisierung seine die Lebensführung schwer belasten würde und die entsprechenden Risiken trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff spezifisch, für den Laien aber überraschend seien. Über extrem seltene, aber schwerwiegende Risiken sei der Patient dann aufzuklären, wenn in der medizinischen Wissenschaft bereits ernsthafte Stimmen darauf hinweisen, die nicht als unbeachtliche Außenseitermeinungen abgetan werden können, sondern als gewichtige Warnungen angesehen werden müssen.

Im Einzelfall könne auch unterhalb einer Komplikationsdichte von 0,1 % von einer Aufklärung über mögliche Risiken und Zwischenfälle regelmäßig nur dann abgesehen werden, wenn diese Möglichkeit bei einem verständigen Patienten für seinen Willensentschluss über die Einwilligung nicht ernsthaft ins Gewicht fallen kann. In dem vorliegenden Fall hatte der vom Gericht beauftragte Sachverständige ausgeführt, dass bei dem hier durchgeführten Eingriff das sehr seltene Risiko des Auftretens einer spinalen Ischämie zum Zeitpunkt des Eingriffs bekannt gewesen sei und 0,1% betrage. Deswegen handele es sich auch nicht um eine typische Komplikation. Das Gericht  hat sich dieser Auffassung des Sachverständigen hingegen nicht angeschlossen.  Es sei über ein derart seltenes Risiko dann aufzuklären, wenn die Realisierung dieses Risikos die Lebensführung des Patienten schwer belasten würde und die entsprechenden Risiken trotz ihrer Seltenheit für den Eingriff zwar spezifisch, für den Laien aber überraschend seien. Dies sei hier der Fall gewesen.

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